Silvesterverzweiflung
Dieses Jahr scheint es so als habe die übliche alljährliche Silvester-Verzweiflung einer ganz weit verbreiteten Jahresenddepression Platz gemacht. Wo man hin hört Panik und Überdruss - eigentlich lächerlich, wo es doch jedes Jahr dasselbe ist!
Wie viele Jahresenden des Lebens wurden bei den jahresendempfindsamen Menschen von dieser Silvesterverzweiflung geprägt. Von sinnlosen Versuchen der Bewältigung: Auf halbwegs rauschenden und arg langweiligen Partys in der eigenen Wohnung, beim Silvester-Essen bei Freunden, bei Massenaufläufen bei Fremden, bis zu dem dummen Vorsatz, allem zu entsagen und zu Hause zu bleiben! Dabei ist es ja nicht so, dass es keine Angebote gibt! Was stand in den letzten Jahren nicht alles Verlockendes zur Wahl: Mit einem befreundeten Paar zu einem Schriftstellersilvestertreffen nach Brandenburg fahren, dort zwei weitere Paare treffen, (von denen sich eines allerdings in Trennung befindet, wie gleich beschwichtigend ergänzt wurde). Oder mit einem Musikerpärchen zu einem anderen befreundeten Pärchen nach Schöneberg zum Raclette-Essen mitgenommen werden, wo noch ein anderes unbekanntes, aber angeblich sehr nettes und gar nicht so pärchenhaftes Pärchen dazu kommen sollte. Das heißt aber nicht, dass Silvester nur für Singles schwierig ist. Auch Pärchen leiden an Silvester, haben sich im Nachhinein dann alles anders, irgendwie prickelnder vorgestellt, vermissen die wahre Innigkeit beim Jahresübergang.
Worauf gründet sich bloß diese Silvesterverzweiflung? Es ist doch einfach ein Tag wie jeder andere! Und selbst für den, der einen relativ fest gefügten Arbeitsalltag hat, findet sich doch oft genug im Jahr Gelegenheit zu feiern und euphorisch „Champagner!!!“ auszurufen und lange aufzubleiben. Also kann es doch egal sein, wie man die Nacht zum 1. Januar verbringt! Und trotzdem liegt so ein Druck auf dieser Nacht, als sei der 31. Dezember ein Orakel für das kommende Jahr.
Und manchmal finden sich dann kurz vor dem schwierigen Termin ein paar Silvesterüberdrüssige zusammen, jammern über das bevorstehende Fest, über ihre langweiligen Pläne, das ewig gleiche Raclette-Essen in Schöneberg. Reden den ganz Depressiven ihre schlimmen Pläne aus: Allein zu Hause bleiben und Silvester-Stadl im Fernsehen schauen, alleine nach Brandenburg fahren, sich in einem Hotel einmieten – Nein, das kannst du nicht machen!
Und dann die zündende Idee: Hey, und wenn man sich einfach so trifft irgendwo draußen oder bei einer Bar und schaut, was passiert? Und dann hinterher halt doch noch auf die eine oder andere Privatparty geht? Ist doch egal, wenn es zu deprimierend wird kann man ja um halb eins wieder nach Hause gehen!
Nämlich am Brandenburger Tor wo Udo Jürgens und DJ Ötzi auftreten und die Scorpions um Mitternacht ihr „Wind of Change“ anstimmen.
von Christiane Rösinger via FM4